Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier kritisierte am 17.12.2006 in einem beachtenswerten Interview mit dem Deutschlandfunk einen Hang zur Überregulierung. Papier betonte, dass es in Deutschland kein Gesetzesdefizit gebe, sondern allenfalls ein Vollzugsdefizit. Zitat: „Wenn, dann haben wir allenfalls ein Vollzugsdefizit, was aber vielfach darauf beruht, dass wir einen Normenüberhang haben, den keine Bürokratie mehr zu finanziell tragbaren Bedingungen überhaupt verwirklichen und vollziehen kann“. Zu viele Normen führen zu Problemen bei der Umsetzung, kritisierte Papier. Der Gesetzgeber schafft Normen ohne Rücksicht darauf, ob diese Normen überhaupt jemals irgendjemand vollziehen kann.
Der IFHandwerk begrüßt die klaren Worte des Bundesverfassungsgerichts-Präsidenten. Die negativen Folgen des Normenüberhangs werden besonders gut beim Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz erkennbar. In einem aktuellen Interview mit dem Hamburger Abendblatt kritisierte am 6.1.2007 der renommierte Schwarzarbeits-Forscher Prof. Schneider aus Linz die volkswirtschaftliche Unkenntnis der Politik bei der Verfolgung von Schwarzarbeit. Die Verfolgung ist jedoch nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch rechtsstaatlich bedenklich. Gerade im Bereich der Verfolgung von Handwerksverstößen ergeben sich bei den für die Verfolgung zuständigen Gebietskörperschaften (den Landkreisen und Städten) erkennbare Vollzugsdefizite. Handwerkliche Ordungswidrigkeiten nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz können mit bis zu 50.000€ geahndet werden. Die Ordnungsbehörden können das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz nicht mehr zu finanziell tragbaren Bedingungen verwirklichen und vollziehen, weil sich das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz auf einen vorsätzlichen Verstoß gegen die in der Handwerksordnung als Oberbegriff genannten Rechtsvorschriften bezieht, sodass eine Auslegung nur noch von Spezialisten vorgenommen werden kann. Leider haben die Verfolgungsbehörden für diese Problematik kein Problembewusstsein. So kann beispielsweise der Bremer Wirtschaftssenator gegenüber dem IFHandwerk e.V. die vom Verband geschilderte „Gefahr der willkürlichen Anwendung durch Ordnungsbehörden“ nicht erkennen. „Alle Behörden sind an Recht und Gesetz gebunden und somit verpflichtet, die richtige Auslegung bei der Rechtsanwendung im Einzelfall – die zum Teil recht schwierig sein kann – zu finden“ (Schreiben vom 18.12.2006 an den IFHandwerk e.V.). Dies gilt insbesondere für die Unterscheidung, was im Handwerk ohne Meisterbrief erlaubt und was verboten ist.
Die Bediensteten der für den Vollzug zuständigen Behörden sind mit dieser Unterscheidung in der Praxis überfordert und verlassen sich gerne auf die Vertreter des Meisterzwangs: die Handwerkskammern. Sie müssen neben umfangreichen fachspezifischen Erfahrungen in den in der Handwerksordnung aufgeführten zulassungspflichtigen Berufen der Anlage A auch die Abgrenzung nach den Ausnahmekriterien vornehmen können. Dabei stellt sich das Problem, dass die Handwerksordnung auf die einzelnen voll umfassenden Handwerksberufe und damit auf bloße Oberbegriffe abgestellt wurde, weil das Handwerk, auch nach Ansicht des Gesetzgebers, einem stetigen Wandel ausgesetzt ist, der sich insbesondere aus dem technischen Fortschritt ergibt. Es ist somit den verfolgenden Behörden unmöglich, die konkreten erlaubsnispflichtigen Tätigkeiten der einzelnen Handwerksberufe aufzuführen, auf die es im Praxifall ankommt.
Nicht nur für die Gebietskörperschaften ergeben sich somit eine Fülle von Zweifelsfällen, welche sie in einer Auseinandersetzung mit dem Betroffenen grundsätzlich über die Verwaltungsgerichte zu klären haben. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Bürger die Klärung von Zweifelsfällen nicht auf der Anklagebank erleben und somit die Klärung nicht in einem Bußgeldverfahren erfolgen darf. Da das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde nur dann zur Entscheidung annimmt, wenn der Beschwerdeführer den Gerichtsweg ausgeschöpft hat, kann festgestellt werden, dass nicht nur die jeweilige Behörde versagt hat, sondern auch die Gerichte.
Eine polizeiliche Verfolgungsmaßnahme, die aufgrund zweifelhafter Gesetzesauslegung vorgenommen wird, kann erheblichen Schaden beim Verfolgten verursachen, der dann von den Gebietskörperschaften auf Grundlage des jeweiligen Polizei- und Gefahrenabwehrgesetzes des Bundeslandes verschuldensunabhängig ausgeglichen werden müsste. Seitens der Gebietskörperschaften wird ein solcher Anspruch aber damit verneint, dass nicht sie, sondern allein die Handwerkskammern und Kreishandwerkerschaften darüber zu entscheiden haben, welche Handlungen die für den Vollzug zuständige Behörde zu verfolgen habe und daher derartige Ansprüche eines Verfolgten gegenüber der Handwerkskammer oder der Kreishandwerkerschaft gestellt werden müsste. Die Handwerkskammern und Kreishandwerkerschaften verneinen spätestens im Schadensfall einen kausalen Zusammenhang zwischen einer von ihnen vertretenen Rechtsauffassung und einer durch die Behörden eingeleiteten Verfolgungsmaßnahme. Demnach stellt eine durch die Handwerkskammer oder Kreishandwerkerschaft erteilte Auskunft lediglich eine parteiliche Rechtsauffassung einer Interessenvertretung dar, die keinesfalls zu Lasten der Handwerksorganisation in eine Polizeimaßnahme umgesetzt werden kann.
Die für den Vollzug des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes zuständigen Gebietskörperschaften verzetteln sich hier gewaltig, wenn sie meinen, dass für die Beurteilung eines Gesetzesverstoßes die Handwerksorganisationen zuständig seien und sie lediglich für die Verhängung von Bußgeldern zuständig seien, um so Einnahmen zu realisieren. Die Verfolgung von Schwarzarbeit ist keineswegs loslösbar von der Entscheidung, was erlaubt und was verboten ist. Die Gebietskörperschaften verkennen dabei auch, dass nicht die Handwerksorganisationen für die Auskunftserteilung zuständig sind. Zuständig ist die Behörde selbst, wenn der Bürger gerade bei komplizierten Gesetzen eine behördliche Auskunft einzuholen hat, um nicht gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen (Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums gemäß der Rechtsprechung zu § 11 OWiG). In der Praxis delegieren sie jedoch die Beurteilung an die Handwerkskammern.
Auf Anfragen reagieren die meisten Gebietskörperschaften regelrecht sprachlos. Sie können derzeit lediglich darauf verweisen, dass man sich erst einmal einig werden müsse, nachdem die Handwerkskammer klugerweise zunehmend erklären, dass sie für ihre Auskünfte nicht haften wird und die Landesregierung darauf hinweist, dass für die Auskunftserteilung die Gebietskörperschaft zuständig sei und natürlich auch das Haftungsrisiko zu tragen habe.
Das Beispiel zeigt: Der Staat verzettelt mit seinen Gesetzen. Die daraus entstehenden erheblichen Kosten muss letztlich die Allgemeinheit tragen. Werden Gesetze nicht vereinfacht und werden nicht umsetzbare Gesetze nicht abgeschafft, wie das der Bundesverfassungsgerichtspräsident indirekt gefordert hat, so müssen die Gebietskörperschaften deutlich mehr Personal einstellen, damit sie dem Bürger sagen können, was erlaubt ist und was verboten ist. Letztlich gibt es Gesetze nicht kostenlos. Nur: eine noch höhere Steuerquote will keiner.