Die Selbstständigen geraten ins Hintertreffen. Wenn die Behörden zu gründlich sind, bleiben Selbstständige auf der Strecke.
Es gibt diese Menschen, gerade bei Handwerkern, Menschen, die bis auf die Maskenpflicht beim Einkaufen von der Pandemie tatsächlich wenig mitbekommen. Andere dagegen (wie Friseure und Messebauer) hat es voll getroffen. Der Veranstaltungstechniker Bo Azzouz schätzt, dass das Geschäftsjahr für ihn mit so gut wie keinem Umsatz in diesem Jahr zu Ende gehen wird. Bis seine Auftraggeber und deren Werbeagenturen wieder ins Laufen kommen, wird es Dezember sein. Und seine Saison ist durch den Lockdown völlig zerstört – und damit seine Firma.
So unterschiedlich sind die Verhältnisse in diesem Land. Für kleine Selbstständige kann so ein Totalausfall durch die Pandemie das Aus bedeuten, nicht nur für 50% der Kaufhäuser von Galeria Kaufhof. Der mit dem Handwerk über die Bundesarbeitsgemeinschaft BAGSV verbundene Verband VGSD hat in der wohl größten Befragung von kleinen Selbstständigen erfahren, dass 25% der Befragten an die Aufgabe ihrer Selbstständigkeit denken. Nach Information von „Spiegel-online“ hat sich die Zahl der selbstständigen Arbeitslosengeld II-Bezieher von 15.000 auf knapp 84.000 fast versechsfacht https://bit.ly/3fYIXL0
Der Flurschaden ist damit gigantisch.
Da rückt zum einen die Entschädigungspflicht nach dem Infektionsschutzgesetz in den Vordergrund. Nach Einschätzung des VGSD-Anwalts Michael Augustin kann durch die Ausgangsbeschränkungen und Allgemeinverfügungen eine Entschädigungspflicht bejaht werden. Der Schaden muss jedoch noch in diesem Monat angezeigt werden. Wenn Sie geschädigt sind, sollten Sie Ihren Schaden anzeigen. Musterbriefe werden unseren Mitgliedern hierfür kostenlos zur Verfügung gestellt. Wir schreiben diesbezüglich Sie als Mitglied einzeln an. Wer betroffen ist, sollte dieses unverzüglich anmelden. Mit dem Schreiben erhalten Sie auch das Passwort, um die Musterbriefe zu nutzen. Eile ist nötig.
Jetzt aber zur Bürokratie: Die Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium Sarah Ryglewski (SPD) hat mit einem aus Sicht des IFHANDWERK e.V. unsensiblen und rücksichtslosen Schreiben an den Finanzausschuss des Bundestages deutlich gemacht, dass die Corona-Soforthilfen kleinlich geprüft und ggfs zurückgezahlt werden müssten. Das Schreiben liegt uns nicht vor. Nach Informationen des „Handelsblattes“ jedoch und einem von der Deutschen Handwerkszeitung zitierten Steuerberater dürfen angeblich nur bestimmte Kosten in der Liquiditätsberechnung berücksichtigt werden, mit der Sie Ihre Liquiditätslücke berechnen. Zitat: „Die Existenzsicherung inklusive der Miete erfolgt schnell und unbürokratisch über die Grundsicherung, die laufenden Kosten für die Büromiete, Pachten oder andere Dauerschuldverhältnisse über das Sofortprogramm des Bundes“. Es ist aber nach Recherchen des IFHANDWERK e.V. und der mit ihm verbundenen 24 anderen Verbände bis heute nicht wirklich zu klären, wie methodisch sauber gerechnet werden kann. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Pinkwart macht nach Informationen des „Handelsblattes“ inzwischen Druck, die Bedingungen der Corona-Soforthilfe nachträglich auszuweiten, damit die betroffenen Selbstständigen die Zuschüsse auch zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes einsetzen dürfen und nicht zurückzahlen müssen. Für die Staatssekretärin Ryglewski ist das jedoch Sache der Länder. Der Bund wolle für die Großzügigkeit der Länder nicht aufkommen. Damit ist es sehr wahrscheinlich, dass es mindestens 16 verschiedene Berechnungsmethoden geben wird. Das kann nicht richtig sein. IFHANDWERK-Geschäftsführer Michael Wörle: „Der Streit zwischen Bund und Ländern führt zu einer bürokratischen Schikane auf dem Rücken der von der Pandemie getroffenen Selbstständigen. Damit wird nachträglich eine bürokratische Zusatzlast geschaffen, die untragbar ist.“
Dazu kommt, dass unter der Oberfläche der Corona-Nachrichten noch ein anderer Streit in der Großen Koalition gärt: Der Streit um die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige. Die SPD will alle Selbstständigen in die gesetzliche Rente zwingen, die Union ist dagegen. Der Gesetzentwurf wird derzeit im Ministerium von Bundesarbeitsminister Heil erarbeitet. Was auch immer noch dieses Jahr dabei heraus kommt: Eine Altersvorsorgepflicht („Zwangsrente“) würde gerade in Zeiten der Pandemie weitere Zwangsabgaben für Selbstständige auslösen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks ZDH, ein Gegner unserer Mitglieder, befürwortet die „Zwangsrentenzahlungen“. Grund: die in die Handwerksrolle eingetragene Handwerker kennen diese, zulassungsfreie Handwerker aber bislang nicht. Der ZDH will die Abgabepflicht für alle Selbstständige. Selbstständige, die derzeit ihre Lebensversicherung beleihen müssen (und können), würden mit einer solchen „Zwangsrente“ um ihre freie Form der Altersvorsorge gebracht werden. IFHANDWERK-Geschäftsführer Michael Wörle: „Eine Altersvorsorge ist für jeden Selbstständigen wichtig. Wir fordern allerdings flexible Lösungen, die Selbstständige in der Krise handlungsfähig hält. Das kann die gesetzliche Rentenversicherung derzeit nicht leisten.“
Die BAGSV hat in einer gemeinsamen Petition vieler Verbände einen Mahnbrief an den Bundeswirtschaftsminister Altmaier verfasst. Nach anfänglicher Freude über die schnellen Hilfen in allen Verbänden der BAGSV ist die Bewilligungspraxis inzwischen einer kritischen Haltung gewichen. VGSD-Geschäftsführer Andreas Lutz, der auch Sprecher der BAGSV ist und damit auch die Interessen unserer Mitglieder vertritt schrieb:
„Als Steuer- und Beitragszahler sind wir willkommen, in der Krise aber lässt man uns im Regen stehen, während man gegenüber der Öffentlichkeit mit den Wohltaten prahlt, die man uns hinterher kaltschnäuzig verweigert. … Wir haben sehr lange ausschließlich sachlich auf die Missstände hingewiesen – und nicht nur wir. Ich glaube, es braucht nun (leider) einen sehr lauten und deutlichen Weckruf an das Wirtschaftsministerium, damit es seine Aufgaben wahrnimmt“.
Hier gehts zum offenen Brief: https://bit.ly/3fUEhpc
Fazit: Wenn wir uns nicht wehren, werden Selbstständige zwischen den Interessen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften im Politikbetrieb zerrieben. Sie geben vor uns zu schützen. Aber in Wirklichkeit tun sie es nicht. Das zeigen die Beispiele, die hier beschrieben sind.